Ich sehe ihn noch vor mir, den Mann, der mich mit einem großen Faltkorb besuchen kam. „Frau von Bünau, ich habe ein Problem…“, sagte er und stellte den mit mehreren dicken Ordnern gefüllten Faltkorb vor mir ab. Er hatte angefangen, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben, und war noch lange nicht am Ende angekommen. Aber wer sollte das alles lesen?

Das eigene Leben zu kürzen, widerstrebt unserer Natur. Sie kennen vielleicht auch den Impuls, bei anderen Leuten gerne mal die von nutzlosem Kram völlig zugestellte Wohnung ausmisten zu wollen. Am besten würde das vielleicht nach dem Prinzip „Wohnungstausch“ funktionieren: Während ich bei dir ausmiste, mistest du bei mir aus. Dann haben wir beide ein Interesse daran, pfleglich mit der fremden Wohnung umzugehen.

Aber wie räumt man in der eigenen Geschichte auf? Ich schlage vor, ähnlich wie in der Wohnung erstmal mit leeren Schränken anzufangen – einer Struktur. Formulieren Sie dann einen „Elevator-Pitch“ für Ihr Leben: Stellen Sie sich vor, Sie haben nur eine Aufzugfahrt lang Zeit, einem fremden Menschen zu erzählen, wer Sie sind. Versuchen Sie, das Wesentliche Ihrer Biografie in ganz wenigen Worten zusammenfassen, möglichst nur in einem Satz. Das ist der „rote Faden“.

Für die nächsten Schritte können Sie sich von Randy Ingermansons „Schneeflocken-Methode“ für Roman-Autoren anregen lassen, die ich hier einmal für das Schreiben bzw. Strukturieren von Biografien angepasst habe.

Schreiben Sie ein paar Sätze über sich als Person: Was ist oder war Ihr (Lebens-)Ziel, was Ihr Hauptantrieb? Wofür kämpften Sie, was ist Ihre beherrschende Leidenschaft, wie haben Sie sich entwickelt? Sie können diese Punkte auch für verschiedene Lebensphasen unterschiedlich beantworten. In der Jugend hatten Sie vielleicht andere Leidenschaften als 20 Jahre später.

Listen Sie dann die wichtigsten Wendepunkte Ihres Lebens auf; einschneidende Entscheidungen oder Ereignisse, ohne die das Leben einen anderen Verlauf genommen hätte.

Erweitern Sie anschließend Ihren Elevator-Pitch zu einem Absatz: Schreiben Sie einen Anfangssatz, einen zu jedem Wendepunkt und einen Schluss-Satz.

Bauen Sie im nächsten Schritt jeden Satz dieses Absatzes aus, indem Sie fünf weitere Sätze dazu formulieren – einen ganzen Absatz dort, wo vorher nur ein Satz war. So entsteht eine knappe Zusammenfassung Ihres „Grund-Plots“ für die Biografie.

Erweitern Sie diesen Grund-Plot im nächsten Schritt auf vier Seiten, auf denen Sie die wichtigen Wendepunkte und den Schluss genauer schildern. Ergeben sich dabei neue Ideen, kommen weitere Erinnerungen und Wendungen auf, fügen Sie sie ein. Sie können dazu noch einmal zu Ihrem Grund-Plot zurückkehren und von dort aus weitermachen, bis alle Einzelteile zusammenpassen und nichts Wichtiges vergessen ist. Noch immer arbeiten Sie auf der Ebene der Inhaltsangabe, von der Sie sich später führen lassen wollen.

Anschließend nehmen Sie sich als Hauptfigur und Ihre Entwicklung in den Blick: Beschreiben Sie sich lebendig mit Aussehen, Kleidung, Marotten, Vorlieben… – mit allem, was Ihnen einfällt, was Sie charakterisiert. Denken Sie dabei auch an spätere Leser, die Sie nie kennengelernt haben. Speisen Sie sie nicht mit Fotos ab, sondern beschreiben Sie sich für alle Sinne! Auch, wie Sie sich verändert haben, gewandelt, dem Ziel entgegen, wie Sie Ihr Leben mit Sinn gefüllt haben. Veränderung und Entwicklung sind spannungstragende Elemente in der Biografie.

Jetzt können Sie mit der Ausarbeitung Ihrer ganzen Geschichte beginnen, aus den gesammelten Erinnerungen die einsortieren, die in die Struktur passen, am „roten Faden“ entlangführen und dem Ziel entgegengehen. Mit einer guten Struktur ergibt sich schnell, was unerheblich ist und wegfallen kann, weil es die Geschichte nicht vorantreibt, keine Veränderung bewirkt hat und den Blick auf Sie als Persönlichkeit nicht schärft.

Haben Sie Interesse am biografischen Schreiben?

Dann beachten Sie auch die anderen “Biografie-Typen” in meinem Blog: Typ 1 – “Ich habe nichts zu erzählen”, Typ 3 – “Der/die Erfolgreiche”, Typ 4 – “Was sollen die Leute denken?” , Typ 5 – “Was bleibt, wenn ich gehe?” und Typ 6 – “Eine Geschichte mit mehreren Erzählern”.