Hat Ihnen einmal jemand ein Mixtape verehrt, eine selbst gemischte Musikkassette? Dann können Sie sich sicher an die Gefühlskaskade erinnern, die eine solche Gabe auslöste. Mixtapes waren die zarten Zuneigungsbeweise meiner Jugend.
Spulen ohne Playlist und Download
Der Schenkende hatte lange dafür am Kassettenrekorder gesessen, hin- und hergespult, Aufnahmen gestartet, gestoppt, überprüft und Misslungenes wieder überspielt. Er hatte die richtigen Lieder aufspüren müssen, ohne Playlist und Download, von Platten, anderen Kassetten oder schon von einer CD. Mit Geduld und etwas Glück konnte er den ein oder anderen Song mal aus dem Radio aufnehmen, aber Obacht! In den Schluss quatschte gerne ein vorlauter Moderator hinein, dann musste man beim Überspielen rechtzeitig einen möglichst unauffälligen Fade-out hinbekommen.
Mehr als 1000 Worte hätten sagen können
Man mischte in sein Mixtape hinein, was 1000 Worte nicht hätten sagen können. Mit Udo Lindenberg den Herzschmerz („Du spieltest Cello“), mit Tom Waits die Trunkenheit („there’s a place for us – somewhere“), mit John Lennon den Weltschmerz, und was die anderen Lieder transportierten, erzählte man beim gemeinsamen Hören. Ein Mixtape war nicht weniger als die Offenbarung der Seele. Nicht so plump wie ein Brief, nicht so übergriffig direkt. Man musste schon sehr genau hinhören, um es zu verstehen. Die EmpfängerIn analysierte alle Details auf konservierte Gefühle: die Covergestaltung, die Handschrift, die Liedfolge.
Manche Mixtapes hörte man am besten allein, mit Walkman, um still vor sich hin zu lieben oder innig zu zweit, sich einen Kopfhörer teilend, in tiefem Verständnis. Andere waren gesellschaftsfähig – die konnte man auch laut auf dem Ghettoblaster gemeinsam hören und dazu fachsimpeln. Damit ließ sich jede peinliche Stille überspielen, denn es gab ständig etwas zu tun: vor- und zurückspulen zum jetzt nötigen Song, zur coolsten Stelle, und da immer wieder drüber. John Lee Hooker – dieses „how-how-how-how“ aus dem Blues-Brothers-Soundtrack: Geht es lässiger? Wohl kaum! Einmal auch selbst so über den Dingen stehen, einfach laufen lassen, egal, was die Leute denken.
Eigene Songs – die Königsklasse
Zuletzt die Königsklasse unter den Mixtapes, die nur wenigen gegeben ist: ein Tape mit eigenen Songs! Wie das hier abgebildete von „Pete Jay“ (Künstlername), dessen Zigarette und Blick man schon die Coolness ansieht, die darauf zu hören sein wird. Der Mann kann Gitarre spielen und singen und Songs schreiben UND hat ein Aufnahmegerät mit mehreren Spuren! Man selbst muss nur noch das Räucherstäbchen dazu anzünden und den kalten Supermarkt-Rotwein öffnen.
Das erklärt, warum dieses Mixtape von Pete das einzige ist, das ich noch heute habe. Das und die vierte Tonspur, auf der man mich mit meiner Bratsche hört. Einmal auch Königsklasse spielen, egal, was die Leute denken…
Adele v. Bünau
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