Ein Rückblick ist aus biografischer Sicht immer sinnvoll – einen solchen werfe ich hier auf mein Jahr 2023.
Es soll ein gutmütiger Blick sein auf das, was mich in diesem Jahr bewegt hat. Welche Ziele habe ich verfolgt, was wollte ich erreichen? Was habe ich entschieden und umgesetzt? Wo habe ich dazugelernt und welche wichtigen Erfahrungen habe ich gemacht?
Und warum teile ich das alles mit der Allgemeinheit? Die Antwort auf diese Frage kommt vorweg: Mein Rückblick ist gelebte „Biografiearbeit“. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit erklärt die Gegenwart und hilft dabei, die richtigen Ziele für die Zukunft zu fassen. Ich erzähle von Themen, wie sie in jedem Leben vorkommen und von Erkenntnissen und Erfahrungen, in denen sich andere wiederfinden mögen, denn ich glaube an die Kraft der Verbundenheit.
In diesem Jahr hatte ich einen Biografie-Kunden, der jedes Kapitel seiner Erinnerungen beendet hat mit einer Lebenslehre, die er aus dieser Zeit gezogen hat. Das erinnerte mich an einen Spruch aus meinem Elternhaus, mit dem ich groß geworden bin: „Das machen wir einfach mal! Entweder wird es gut, oder wir machen eine bleibende Erfahrung.“
„Einfach mal machen“ finde ich noch heute häufig einen guten Rat. Machen, statt weiter auf Perfektion zu planen und dabei das Handeln zu vergessen. Machen, statt aus Angst vor dem Scheitern tatenlos zu bleiben. Scheitern und wichtige Erfahrungen sammeln. Dann kann man es beim nächsten Mal schon besser machen.

Was ich mir 2022 vorgenommen hatte:

Social-Media-Postings Adele von Bünau

Sichtbar werden mit „Social Media“

In der Corona-Zeit habe ich mir einen Website-Kurs gekauft, um als Biografin im Netz ein besseres Bild abzugeben: frisch, flexibel, mit guter mobiler Ansicht – wie es sein sollte. Und dazu ein Blog, jeder braucht einen Blog, um „sichtbar“ zu werden!
Da der Besuch auf meiner Website weiterhin zu wünschen übrig ließ, war eins meiner Ziele für 2023: Posten in der Social-Media-Community! Meine Themen voranbringen, Experten-Status aufbauen etc. Vorübergehend unterstützte mich sogar eine Virtuelle Assistentin. Ich bespielte Facebook, LinkedIn und gelegentlich auch Instagram.

Meine Erfahrungen damit: Die Zahl meiner Blog-Artikel und Postings habe ich entschieden erhöht, meine Netzwerke sind gewachsen. Ein ambivalentes Verhältnis habe ich zum Thema „Content“: Ich will nur Relevantes oder allgemein Unterhaltendes posten – keine Belanglosigkeiten. Ich halte das Um-sich-selbst-Kreisen für ein Problem unserer Zeit, nicht für eine geeignete Social-Media-Strategie.
Zudem ist alles Virtuelle ja nur simulierte Wirklichkeit, während ich mich beruflich mit dem tatsächlichen Leben beschäftige – so authentisch wie möglich.

Lebensthemen, die mich 2023 beschäftigt haben

Wenn der Tod wie ein Freund kommt

Die größte Veränderung in diesem Jahr war der Tod meines Vaters. Jahrelang habe ich gedacht, dass dieser Mensch niemals sterben darf, weil ich ihn so dringend auf der Erde brauche. Jetzt war es anders: Er hatte sein Leben zu Ende gelebt. Er war 93, zunehmend hilfsbedürftig, und ich gönnte ihm seinen Frieden.

Eine besondere Erfahrung: Wenn ein Leben wirklich vollendet ist, wenn nichts offen bleibt, nichts Wichtiges ungesagt, wenn der Tod wie ein Freund kommt – dann ist es viel weniger schwer, loszulassen. Der Übergang schien bei meinem Vater fließend zu sein: Ein Mann, der immer mehr Vergangenheit und immer weniger Zukunft hatte, immer mehr Erinnerung, immer weniger Aussicht. Und dann an einem Wochenende, an dem die ganze Familie um ihn herum war, trat er mit dem letzten Atemzug ganz in die Erinnerung ein. Es bleibt eine tiefe Dankbarkeit zurück, eine starke Verbundenheit – kaum Schmerz. Er ist auch alles andere als weg!

Adele von Bünau mit Vater Günther.

Lebenskunst

#Lebenskunst hat viele Gesichter. Einige besonders nette habe ich bei der Netzwerkstatt von „Lebensmutig – Gesellschaft für Biografiearbeit“  getroffen.
Neben vielen besonderen Kontakten zu Menschen, die in unterschiedlichsten Kontexten mit #Biografiearbeit umgehen, habe ich einige gute Lebenskunst-Entdeckungen für mich gemacht:
1) Es lohnt sich, ein „Wichtig“-Kästchen zu Hause zu haben, in welchem man biografische Schnipsel aller Art sammelt. Jeder solcher Schnipsel ist geeignet, einen in lange vergangene Zeiten zu entführen und im Kopfkino eine Geschichte dazu lebendig werden zu lassen, die von Lebenslust zeugt.
2) Es macht Spaß, Fotos von sich selbst mit gesammelten, gesuchten und zugefallenen Schnipseln in einem Scrapbook  in kreative neue Zusammenhänge zu bringen. Wenn wir mal dazu kommen, sind wir ja alle eigentlich ganz anders.

Scrapbock mit Günther und Adele von Bünau
3) Nach einem ganzen Tag Ressourcenorientierung ist es entspannend, sich abends mal die Pappnase aufzusetzen und in Ruhe seine Schwächen zu feiern. Herzhaft zu lachen über die Absurdität des Lebens. Nicht alles optimieren, nicht gleich wieder die Krone richten – einfach mal kleiner Mensch bleiben.
4) Auch tanzen kann biografisch bedeutsam sein. Abends noch ein Modul, noch ein bisschen netzwerken – oder einfach tanzen? Tanzen! Für jeden gibt’s den Rhythmus, bei dem er mit muss, die vernachlässigten Gelenke, die man wiederentdeckt und die Erinnerungen, die von der Playlist getriggert werden: das Abhotten in der Disco, der Schwoof beim Schulfest, vielleicht sogar der Walzer beim Abschlussball. Lebenskünstlerisch tanzen, in den Himmel hinein oder tollkühn auf dem Vulkan. Shiva, die Hindu-Göttin, soll die Welt tanzend erschaffen haben. Für einen Menschen reicht es vielleicht, sich etwas Leichtigkeit, Balance und Taktgefühl zu ertanzen.

Scrapbook-Seite

Die Kirche braucht Unterstützung

Die Kirche ist besser als ihre Presse! Mitglieder treten zwar in Scharen aus, und gelegentlich ist zu lesen, die christlichen Kirchen seien „irrelevant“ geworden. Meiner tiefen Überzeugung nach ist aber das Gegenteil der Fall: Jeder Kirchenaustritt ist ein gesamtgesellschaftliches Problem! Denn ein Großteil ihrer Mitgliedsbeiträge, der Kirchensteuermittel, wenden die Kirchen für Einrichtungen auf, die der Allgemeinheit dienen: für Kindergärten, Schulen, Akademien, Tagungsstätten, Krankenhäuser und Beratungsstätten beispielsweise. Nach dem „Subsidiaritätsprinzip“ fördert der Staat manche dieser Einrichtungen zwar, aber es fließen auch jährlich Milliarden an Kirchenmitteln, Spenden und ehrenamtlichen Leistungen hinein.
Ich selbst engagiere mich für die Evangelische Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle (EFL) in Siegen-Wittgenstein, indem ich im Sommer den Vorsitz einer Stiftung übernommen habe, die die Arbeit der EFL sichern soll, auch wenn die Finanzierung schwieriger wird. Denn in dieser Beratungsstelle findet jeder kurzfristig professionelle Hilfe, der anderswo nicht landen kann mit seinen Sorgen – kostenfrei und ohne Zugangsvoraussetzung für alle Ratsuchenden. Und im kommenden Jahr trete ich als Kandidatin für unser Gemeinde-Presbyterium an.
Eine Großstifterin der EFL fragte ich neulich, warum sie sich für unsere Stiftung engagiere. „Weil ich die Kirche mag“, war ihre Antwort. Dem kann ich mich anschließen. Ich mag nicht jeden einzelnen Mitarbeitenden, aber ich mag die Kraft der Gemeinschaft, die in eine ähnliche Richtung unterwegs ist. Dafür setze ich mich ein.
Jeder, der über einen Austritt nachdenkt, sollte sich überlegen, ob er gerne ohne all die kirchlichen Einrichtungen leben würde, die nicht nur von Geld, sondern auch von vielen Engagierten mit Menschenliebe, Hoffnung und Zuversicht getragen werden. Wenn der Rückhalt der Kirchen entsprechend den Prognosen weiter zurückgeht, werden etliche kirchliche Einrichtungen geschlossen werden müssen, und unsere Gesellschaft bliebe deutlich kälter zurück.

Die Christuskirche in Siegen-Weidenau.

Die Christuskirche in Siegen-Weidenau.

Weihnachtsbriefe – Kontakte pflegen, um sie nutzen zu können

Ich schreibe, so lange ich denken und schreiben kann, Weihnachtsbriefe an alle meine Lieben. Nach einigen Jahrzehnten Lebenserfahrung und etlichen Umzügen ist die Liste der Vertrauten, die ich damit erreichen will, längst zu lang, um jeder und jedem einen persönlichen Brief mit der Hand zu schreiben. Ich setze also einen Brief auf, drucke eine schöne Karte und schreibe überall ein paar persönliche Zeilen dazu. Das Ganze gab es immer noch per Post, damit man ein Bild für die Kommode und ein haptisch erfassbares Zeichen der Verbundenheit hat. Und damit man den Brief auch ohne Strom, bei Kerzenschein im Weihnachtszimmer, lesen kann. In diesem Jahr versorge ich erstmals einen größeren Empfängerkreis per E-Mail mit dem Weihnachtsbrief, aber das soll eine Ausnahme sein.

Meine Erfahrung: Mit Weihnachtsbriefen lassen sich einstmals enge Kontakte gut lebendig erhalten. Jedenfalls Kontakte, die den Weihnachtsbrief in diesem Sinne verstehen und ihn nicht entnervt wegschmeißen, weil er ihnen zu unpersönlich ist.
Das Ziel der Kontaktpflege sollte man aber nicht aus dem Auge verlieren: Sich mal wieder zu begegnen, wenn sich die Gelegenheit ergibt! Dazu müssen Gelegenheiten geschaffen und genutzt werden. In diesem Jahr hatte ich zauberhafte Begegnungen mit alten Freunden von „ganz früher“, die ich zum Teil Jahrzehnte lang nicht gesehen hatte. Dank der Weihnachtsbriefe sind wir in Verbindung geblieben. Und die Wiedersehensfreude hat mir gezeigt, dass ich nicht wieder Jahrzehnte vergehen lassen will bis zum nächsten Treffen „in Präsenz“. Alles andere ist nicht mehr als eine Krücke.

Cornelia Hain und Adele v. Bünau

Meine drei liebsten eigenen Blogartikel des Jahres

  • Blogartikel 1: Impressum für Weihnachten – Weil es gerade so gut in die Zeit passt. Verfremdungen von alt bekannten Geschichten sind schöne Themen für kreatives Schreiben. Typisch dafür ist, dass man erst denkt: „Impressum für Weihnachten? Was für ein Quatsch, wie soll das gehen!“ Wenn man sich aber darauf einlässt und anfängt, merkt man, dass es ausgesprochen gut funktioniert und sogar den Blick auf dieses Fest erweitert.
  • Blogartikel 2: Ostern als Lebenserfahrung: In Jerusalem kann man den Fußabdruck sehen, den Jesus angeblich hinterlassen hat bei seiner Auferstehung. Dass es einen ordentlichen Rückstoß gegeben hat, wenn der Flug wirklich in den Himmel ging, kann man sich vorstellen. Was das alles mit dem „echten Leben“ zu tun haben soll, weniger. In diesem Blogartikel erzähle ich, wie eng sich die Verbindung von Tod und Auferstehung in eigenen Lebenserfahrungen abbildet. Mir selbst hat diese Erkenntnis über schwierige „Tode“ hinweg geholfen.
  • Blogartikel 3: Schönheitsideale im Zeitenwandel: Das eigene Aussehen ist ein großes biografisches Thema! Und die Verunsicherung, welche Körperformen akzeptabel sind, ist groß. Ein Blick in die Geschichte der Schönheitsideale erleichtert da ungemein. Nahezu jede Figur wurde einmal als hübsch empfunden! Es spricht also nichts dagegen, das wieder zu tun.

Meine Ziele für 2024

„Ich bin ich und hoffe, es immer mehr zu werden“, dieser Satz von Paula Modersohn-Becker beschreibt auch mein Verständnis von Lebenskunst und wird mich weiter ins nächste Jahr begleiten. Ich verstehe ihn nicht als „Nabelschau“, sondern als die Einnahme meines Platzes in der Gesellschaft.

  • Weiter tatkräftig an der Gesellschaft arbeiten, die ich haben will – auch als Stiftungsvorsitzende und Presbyterin.
  • Meinen biografischen Newsletter reaktivieren. Meine Schreibanregungen, Kurse und Geschichten aus dem Leben sollen jeden erreichen, der sich dafür interessiert.

Adele von Bünau auf dem Rheinsteig

  • In Bewegung bleiben! Der Blick über den Rhein ist immer eine Reise wert.