Konfirmation – die ganze Familie ist in der Kirche. Alle dürfen zum Abendmahl. Der Zwölfjährige steht mit leuchtenden Augen neben mir. Er empfängt die Oblate, er tunkt sie in den Wein, denn er trinkt nicht gerne aus Gefäßen, an denen die Spucke anderer noch klebt, und dann stupst er mir in die Seite. Ich beuge mich ein wenig hinunter und höre ihn wispern: „Das mag ich nicht …“. Schnell nehme ich ihm den bereits erweichenden „Leib Christi“ aus der Hand und esse ihn selbst. Zu Hause tue ich das auch mit Tomate, Kohlrabi und dem meisten, was grün und gesund ist.

Essen, was weg muss

Früher war das anders. Das merkt man jetzt schon beim Abendmahl. Früher wurde noch „gegessen, was auf den Tisch kommt“. Das konnten die Eltern auch noch durchsetzen. Alles wurde wenigstens probiert und mit so viel Haltung wie möglich hinuntergeschluckt. Danach durfte man „satt“ sein. Nur für ein einziges Lebensmittel wurde uns zugestanden, dass wir es „nicht mögen“. Möhrensalat oder Rote Bete – das war eine harte Entscheidung für mich. Selbstverständlich wurde auch erst das alte Brot gegessen, danach das frische, erste der schrumpelige Apfel, dann der glatte.

Vegetarier gab es selten, die aßen dann eben nur die Beilagen. Unter „vegan“ konnten wir uns noch nichts vorstellen. Und nach bestimmten Inhaltsstoffen hat erst recht nie irgendjemand gefragt: Ist das mit Laktose? Glutenfrei? Fettarm?

Essen aus Taktgefühl

Ich akzeptiere, dass Kinder heute nicht mehr „dressiert“ werden wie die Hunde, damit sie aufs Wort gehorchen. Sie sollen zu eigenständigen Menschen heranwachsen, die ihre Entscheidungen selbst zu treffen gelernt haben und Verantwortung für sich übernehmen. Ich halte ihnen nicht die Nase zu, um ihnen in den offenen Mund den Brokkoli stopfen zu können. Aber es ist schwierig geworden, gemeinsame Mahlzeiten einzunehmen: Wie viele Töpfe braucht man, um acht Personen das zu kochen, was sie mögen? Kann man in größerer Runde bald nur noch an Buffets essen? Und um ein anderes, altmodisches Wort einmal wieder zu kultivieren: Freudig zu essen, was andere für einen zubereitet haben, ist auch eine Frage des Taktgefühls. Die Dankbarkeit für die Gemeinschaft nehme ich wichtiger als mein urpersönliches Geschmacksempfinden.

Paradoxerweise ist ja mit der wachsenden Vielfalt des Angebots eine Verarmung des Geschmacks verbunden. Im kleinen Supermarkt von früher kannte man jedes Produkt persönlich und wusste, wofür man es brauchte. In der gut sortierten Vollsortimentfiliale für Lebensmittel ist man als Erstbesucher hoffnungslos verloren. Als Stammkunde steuert man gezielt die Orte an, an denen man sich auskennt: Die Truhe mit der Tiefkühlpizza, das Regal mit den Nudeln und Tomatensoßen.

Überforderung Supermarkt

Ich kenne eine ältere Dame, die Käse an der Theken kaufen wollte. „Wollen Sie holländischen, französischen oder deutschen Käse? Frischkäse, Rohmilchkäse, Weichkäse, Hartkäse, am Stück oder in Scheiben?“ Von den Fragen der freundlichen Fachverkäuferin war sie so verwirrt, dass sie erstmal unverrichteter Dinge wieder nach Hause ging. Sie wollte sich Zeit nehmen und in Ruhe überlegen, was für Käse genau sie eigentlich meinte. Gelb stellte sie ihn sich vor. Glücklicherweise kam die Enkelin vorbei und sagte, sie möge Cheddarkäse gern. Mit neuer Selbstgewissheit ging die Dame noch einmal zur Käsetheke und bat ganz gezielt um einige Scheiben Cheddar. „Gern“, antwortete die Fachverkäuferin: „Möchten Sie jungen, mittelalten oder alten Cheddar? In gelb oder orange? Mit Salbei, Chili oder Bier aromatisiert?“ Die Dame gab auf. Sie lässt jetzt andere für sich einkaufen. Sie braucht auch nicht viel: normalen Käse, normale Wurst und ein paar Scheiben Brot – was immer auf den Tisch kommt, isst sie gern.