Die allermeisten Menschen freuen sich über Geschenke! Das Belohnungssystem des Gehirns reagiert auf wertschätzende Gaben dankbar mit der Ausschüttung von Glückshormonen. Das „richtige“ Geschenk zur rechten Zeit macht nicht nur die Beschenkten glücklich, sondern freut auch die Geber, denn ihnen wird signalisiert: Du hast es richtig gemacht!
Die Wochen vor Weihnachten könnten uns also alle gemeinsam in Wolken des Glücks hüllen: Die Händler freuen sich über existenzsichernde Umsätze und die Käufer schwelgen in Vorfreude – einerseits, weil sie etwas zu geben haben, andererseits, weil sie sich darauf freuen, etwas zu empfangen. Es könnte alles so schön sein!
Warum geraten aber dann so viele Menschen gerade in diesen Winterwochen so in Stress? Warum ist es gerade das Schenken, das die Herzen zum Rasen und die Gemüter zur Verzweiflung treibt?
Tückische Geschenk-Erwartungen
Die traurige Antwort ist: Weil die Sache kompliziert geworden ist. Menschen beschenken sich, weil sie müssen. Hier ein Mitbringsel, da ein Gastgeschenk und dort zumindest der Nachweis, dass man sich nicht lumpen lässt: Alles ist besser, als mit leeren Händen dazustehen, also quasi nackt.
Auch können an Geschenke hohe emotionale Erwartungen geknüpft sein. Statt eines Geschenkartikels wird die Vertiefung einer Beziehung erwartet, die materielle Dokumentation von Wertschätzung. Im schlimmsten Fall müssen Geschenke Liebe beweisen. Dann ist auch das Empfangen eines Geschenks heikel – wenn man die eine neue Krawatte gleich anzieht und damit scheinbar beweist, dass man die andere nicht mag.
Das Ziehen von Geschenken kann sogar einen Kampf einleiten, wenn es zum Auftrumpfen eingesetzt wird, zur eigenen Statusverteidigung oder zur Demütigung anderer. Welches Geschenk ist schöner, größer, teurer?
Früher reichte ein Besuch in der Schenke
Dabei hat alles einmal harmlos angefangen: Das Wort „schenken“ bedeutete ursprünglich „ein Gefäß schief halten“ oder zu trinken geben – die „Schenke“ erinnert heute noch daran. „Voll eingeschenkt“ bekamen die Menschen schon zu biblischen Zeiten, gern Gutes und Barmherzigkeit, während man bittere Kelche lieber an sich vorüberziehen ließe, wenn es ginge.
Geschenke zur Weihnachtszeit wurden lange sehr symbolisch verstanden, in Erinnerung an die Geburt Christi als Gottes Geschenk an die Menschheit. Dass heute noch Kinder am Weihnachtsabend das Fenster öffnen, damit das Christkind hineinschweben und Geschenke bringen kann, soll auf Martin Luther zurückgehen, der dem wirkmächtigen, aber allzu katholischen St. Nikolaus als Kinderbeschenker etwas entgegensetzen wollte. Ihm schwebte der „Heilige Christ“ vor, aber heute schwebt zumeist das Christkind aufgrund seines hohen Niedlichkeitsfaktors.
Identitätsstiftendes Ritual
Die Sache mit den Geschenken ist erst in den vergangenen Jahrzehnten ausgeartet. Früher konnte man noch mit Apfel, Nuss- und Mandelkern die Familie glücklich machen, heute zählen selbst Lachs und Kaviar zur Festtagsgrundversorgung, die nicht von der Geschenkepflicht befreit.
„Dieses Jahr schenken wir uns nichts!“, vereinbaren immer mehr Menschen – und haben oft doch ein Geschenk in der Hinterhand, eben weil leere Hände schwer auszuhalten sind. Warum nur? Weil Rituale identitätsstiftende Bedeutung haben. Sie geben Sicherheit und bescheren uns ein Wir-Gefühl. Deswegen machen wir uns immer wieder die Mühe des Suchens. Und wer weiß? Vielleicht landen wir diesmal einen großen Treffer!
Schreiben Sie über Geschenke in Ihrem Leben, und wenn Sie auf den Geschmack gekommen sind: Beachten Sie auch meine weiteren biografischen Impulse hier im Blog!