Wer den Nikolaus auch schon einmal verpasst hat, wer vielleicht gerade heute, gerade jetzt feststellt, wie leer die ungeputzten Schuhe sind: Nach einem Briefwechsel in den Himmel und zurück kann ich aus erster Hand versichern, dass es noch nicht zu spät ist!

Eines Nikolaustags morgens, 1984

Verflixt und zugenäht! Es war der 6. Dezember, und ich merkte erst im Schulbus, dass ich vergessen hatte, meine geputzten Schuhe vor die Tür zu stellen. Der Nikolaus hatte sie also nicht gefüllt mit Leckereien, während die Lage bei meiner Freundin Gundula erheblich besser war.

„Na ja“, dachte ich mir: „Der Tag ist noch lang, und heute Abend ist auch noch eine Weile 6. Dezember, wenn ich schon schlafe. Dann stelle ich eben heute Abend meine Schuhe vor die Tür.“

Doch als ich am 7. Dezember aufstand und gespannt nachsah, waren meine Schuhe immer noch frisch geputzt, das gehörte sich so – und auch noch leer. Ich besprach diesen misslichen Umstand mit meinen Eltern.

„Tja, da bist du offensichtlich zu spät gekommen! Nächstes Jahr ist ja mal wieder Nikolaus-Tag“, sagte mein Vater ungerührt.

„So einfach ist das nicht: Es heißt ja Nikolaus-TAG“, widersprach ich. „Und der Tag hat eine Nachthälfte am Morgen und eine weitere am Abend.“

Wir diskutierten noch eine Weile fruchtlos hin und her. Die zwölfbändige Brockhaus-Enzyklopädie half nicht weiter, „Alexa“ und ChatGPT gab es 1984 noch nicht. Schließlich tauchte die Idee auf, den Nikolaus selbst zu fragen – die einzige von allen Seiten akzeptierte Autorität in dieser Frage.

Ich war schon 14 Jahre alt und bemühte mich zur Sicherheit um eine sehr kindliche Handschrift, nicht dass ich unnötig ein weiteres Ausschlusskriterium berührte. So schilderte ich kurz die Sachlage, was mein Vater dazu meinte, was meine Freundin Gundula (und ich) dagegenhielten und bat ihn um Aufklärung. Das Ganze ging an „St. Nikolaus im Himmel“. Und wirklich: Wenige Wochen später erhielt ich schriftlich Antwort! Als Mann des Friedens und des Ausgleichs gab er allen Seiten recht. Weil es mittlerweile so viele liebe Kinder auf Erden gebe, komme er zu manchen morgens früh, zu anderen abends spät. Wer so tolle Briefe schreibt, darf auch mal ein paar Stiefel übersehen.

Eine Frage des Prinzips

Den Nikolaus-Tag zu würdigen, war wohl ein Zugeständnis meiner Eltern an den Zeitgeist: Alle Kinder hatten etwas in den Schuhen, nur wir nicht! Anders als zu Weihnachten, das in meiner Familie vollkommen entzaubert ablief, gehörte zu Nikolaus jedoch das Spiel mit der Legende unweigerlich dazu – und das in einem protestantischen Naturwissenschaftler-Haushalt. Wir mussten jedes Jahr Anfang Dezember hoch und heilig versprechen, dass wir (immer noch) an den Nikolaus glaubten, dann mussten wir unübersehbar unsere Schuhe putzen und möglichst noch ein paar Augenblicke lang demonstrativ brav sein, damit der Nikolaus einen frischen guten Eindruck von uns hatte. Und dann fand sich in der Regel etwas, was er uns nächtens in die Schuhe schieben konnte. Ein paar Hustenbonbons wenigstens, nicht immer war er gut sortiert, aber das spielte auch keine Rolle – es ging schließlich ums Prinzip.

Welche Nikolaus-Erinnerungen kommen bei dir auf? Was hat man dir in die Schuhe geschoben, was stecktest du anderen in die Stiefel? Gab es auch mal eine Rute? Was gehörte zum Familienritual an diesem Tag? Nimm dir einen Stift und schreib Geschichte!

Mehr biografische Impulse findest du hier.

Regelmäßig zurückschauen: Zum Beispiel mit dem Jahresrückblog.